Blau ist die Farbe des Wassers, der Seen und der Meere. Dabei ist Wasser eigentlich farblos. Erst in mächtigeren Schichten erscheint es blau - nicht nur weil der Wasserspiegel das Blau des Himmels reflektiert. Je länger der Weg ist, den ein Lichtstrahl durch Wasser zurücklegt, desto mehr rote und auch grüne Anteile des Lichtspektrums werden "geschluckt", Blau wird dagegen zurückgeworfen. Je tiefer das Wasser, desto dunkler das Blau. Und umgekehrt: je dunkler das Blau, desto tiefer und unergründlicher erscheint es uns.
In der Tiefenpsychologie ist das dunkle, unergründliche Wasser Symbol des Unbewussten: es steht für die geheimnisvolle Tiefe des seelischen Erlebens. "Des Menschen Seele gleicht dem Wasser", schrieb schon Goethe. "Ich liebe das Wasser, seine dichte Durchsichtigkeit, das Grün im Wasser und die sprachlosen Geschöpfe… Die nasse Grenze zwischen mir und mir", sagt die Wasserelfe Undine in Ingeborg Bachmanns Erzählung "Undine geht".
Blau: die weibliche Farbe?
Die Elementenlehre der Antike sah das Wasser in Zusammenhang mit dem weiblichen Prinzip, im Gegensatz zur Luft, die als überwiegend männlich galt (das Feuer war das männlichste, die Erde das weiblichste Element). Den vier Elementen wurden menschliche Temperamente zugeordnet, das Wasser verkörperte dabei das phlegmatische Temperament: Ruhe und Passivität. Diese Eigenschaften werden auch heute noch mit der Farbe Blau verbunden, und so sieht beispielsweise die Psychologin Eva Heller darin die weibliche Komponente des Blau ausgedrückt. Ihrer Ansicht nach soll Blau sogar ursprünglich die weibliche Farbe gewesen sein: "Nach alter Tradition symbolisiert Blau das weibliche Prinzip. Blau ist still, passiv, introvertiert, in der Symbolik gehört es zum Wasser, ebenfalls Attribute des Weiblichen."
Im allgemeinen Bewusstsein scheint Blau als weibliche Farbe allerdings keine Rolle mehr zu spielen. So wurde in den Interviews von Eva Heller das Männliche mit der Farbe Blau verbunden, das Weibliche mit der Farbe Rosa. Eva Heller führt das auf die Tradition der Babyfarben zurück, die Anfang letzten Jahrhunderts etabliert wurden.
Das ozeanische Gefühl
Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, berichtete einst von einem Gefühl seines Freundes Romain Rolland, "das er die Empfindung der ‚Ewigkeit' nennen möchte, ein Gefühl wie von etwas Unbegrenztem, Schrankenlosen, gleichsam ‚Ozeanischen'". Dieses Gefühl, das er von vielen anderen bestätigt gefunden habe, war für Rolland die Quelle der Religiosität - ein Gefühl der Allverbundenheit, der Zusammengehörigkeit mit dem Ganzen. Freud sah darin gleichsam eine Erinnerung an eine "frühe Phase des Ichgefühls" aufscheinen, an jenen Zustand, in dem sich das Kind noch nicht als von seiner Außenwelt geschieden empfindet.
Vielleicht bezeichnet dieses "ozeanische Gefühl" etwas Ähnliches wie das, was der Schweizer Psychologe Max Lüscher in der Symbolik der Farbe Blau ausgedrückt sieht: eine "urmütterliche Verbundenheit". Dunkles Blau entspricht seiner Erfahrung nach einer religiös-philosophisch-meditativen Haltung, die nach dem "Ideal der Einheit" sucht. Auch für Ingrid Riedel ist das dunkle Blau - das Meeresblau wie das Nachtblau - die Farbe der Mystik, des Traums, des Unbewussten. "In Pali bedeutet das Wort für Dunkelblau, Nila, zugleich Meditation." Neben dem positiven Gefühl der Entgrenzung und Allverbundenheit hat es auch eine bedrohliche Komponente: "Blau kann sich schließlich zum Ausdruck der Angst vor dem Ertrinken im Abgrund steigern, zur ‚peur bleu', wie die Franzosen die metaphysische ‚blaue Angst' nennen."